Nachdem ich bereits erläutert habe, was ich überhaupt studiere, möchte ich nach fast 2,8 Monaten meine Eindrücke vom Unileben hier zusammenfassen. Um besser zu verstehen, wie ich die BI Business School in Oslo wahrnehme, möchte ich zuerst meine Eindrücke von zuhause schildern.
Während meines Bachelorstudiums hat sich die Studierendenzahl meines Studiengangs von 70 auf ungefähr 10 Studierende (in Regelstudienzeit) reduziert. Dies liegt u.a. daran, dass Chemie ein sehr spezielles Fach ist, das Vorwissen aufgrund unterschiedlicher Schulen sehr variiert hat, die Laborarbeit doch nicht jedem gefallen hat, es thematisch möglicherweise nicht das Richtige oder das Studium einfach zu anspruchsvoll war. Während dieser Zeit gab es somit starke personelle Fluktuation und dennoch haben sich immer Gruppen und Freundschaften gebildet, es war fast nie jemand alleine. Das liegt am System, denn die Laborarbeit wurde mindestens immer zu zweit durchgeführt und die zu erledigenden Aufgaben, vor allem in der Physikalischen Chemie, waren einfach nicht alleine lösbar (in akzeptabler Zeit). Es war eine angenehme Atmosphäre, auch wenn wir sehr stark ausgelastet waren (mündliche Prüfungen vor jedem Laborversuch, die Laborarbeit selber, das Protokoll schreiben, noch andere Vorlesungen und Module, Klausuren, Präsentationen, …).
Das Studium war so aufgebaut, dass es in Abhägigkeit des Moduls Vorlesungen, Übungen und Seminare gab. Das bedeutet, ein Professor hat eine Vorlesung gehalten, separat dazu gab es Übungsaufgaben, die wir mit einem Dozenten besprochen haben, und manchmal mussten wir im Rahmen eines Seminars Präsentationen halten. Es gab somit eine strikte Trennung der unterschiedlichen Anforderungen und Erwartungen an die jeweilige Lehreinheit. Eine akademische Stunde geht 45 Minuten. Meistens dauert eine Vorlesung zwei akademische Stunden (1,5 Stunden) und eine Übung eine akademische Stunde (45 Minuten). Das wirkt sich auf die Gestaltung des Stundenplans aus, der aus vielen unterschiedlichen Stunden bestehen kann – ohne geregelte Pausenzeiten. Folgenden Plan hatte ich zum Beispiel im 3. Semester (WiSe 2015/16). Es ist nicht notwendig, die ganzen Bezeichnungen zu verstehen. Im Allgemeinen können Veranstaltungen zwischen 7 und 21 Uhr stattfinden.
Es war eine unglaubliche Last, die wir in den 3 Jahren gemeinsam (!) getragen haben. Dabei ist zu beachten, dass es an unserer Uni kaum Gruppenräume gibt (nur ein paar in der Bibliothek, aber das ist immer so viel Aufwand) und wir uns deswegen immer zuhause bei jemanden getroffen haben, in der Mensa zusammen saßen oder online kommunizierten mussten. Dadurch, dass unsere Gegend nicht für die ausgeprägteste Chemie-Industrie bekannt ist, bekommen wir Studierende auch sehr wenig von der Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt mit. Es müssen sowieso fast alle Absolventen die Stadt verlassen (das wissen wir auch) und deswegen ist die Arbeitsplatzssuche lokal weniger eingeschränkt.
Und jetzt bin ich hier, in Oslo, an der BI Business School. Es ist eine sehr renommierte Universität und im Vergleich zu meiner Uni zu Hause wesentlich besser gerankt. Rankings sind hier wirklich wichtig. Überall wird einem verdeutlicht, wie renommiert diese Uni doch ist. Das wirkt sich auch auf Konkurrenzsituation untereinander aus. Beispielsweise haben mir einige geschildert, dass sie eine starke Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt spüren und deswegen wollen sie unbedingt die beste Note in jedem Fach erreichen. Das System an der BI ist jedoch nicht darauf ausgelegt, dass das Studium im Alleingang absolviert werden kann. Hier gibt es sehr viel Gruppenarbeit (damit wahrscheinlich dieses Konkurrenzdenken reduziert und die Zusammenarbeit gefördert wird). Diese nehme ich jedoch anders wahr als zuhause. Die Gruppen sind tendenziell temporär und verfolgen das kurzfristige Ziel, die geforderte Leistung zu erbringen. Ich kann natürlich nur meine bisherigen Eindrücke schildern, die ich innerhalb vier Kurse gesammelt habe und ohne in einem „richtigen“ Studiengang eingeschrieben zu sein. Dazu kommt, dass mein Aufenthalt als Austauschstudentin zeitlich begrenzt ist; das weiß ich und das Wissen meine Mitstudierende. Das spielt wahrscheinlich auch im Umgang untereinander eine Rolle. „Meine“ Gruppe Internationals habe ich unabhängig von den Lehrveranstaltungen gefunden. Wir treffen uns mal im Park, sind zusammen essen, gehen ins Kino oder spielen Shuffleboard (wie heute), sind mal in einem Cafe oder bei gutem Wetter wandern. Da wir alle unterschiedliche Veranstaltungen besuchen, sehen wir uns meistens nur vereinzelt und der Koordinationsaufwand ist größer (vor allem für mich, weil ich weiter außerhalb wohne). Neben anderen Internationals verstehe ich mich mit einer Norwegerin richtig gut, mit der ich in einer Gruppenarbeit zusammen gearbeitet habe.
Der Aufbau des Studium ist hier etwas anders. Während des Masterstudiums gibt es drei festgelegte Zeitintervalle, in denen die Veranstaltungen stattfinden können: von 8 – 11 Uhr, 11 – 14 Uhr und 14 – 17 Uhr (nach 17 Uhr haben wir keine Veranstaltung mehr). Innerhalb dieser 3 Stunden gibt es nach einer akademischen Stunde (also 45 Minuten) jeweils 15 Minuten Pause. Also besteht eine Veranstaltung aus drei Mal 45 Minuten mit jeweils 15 Minuten Pause. Es gibt keine klare Trennung zwischen Vorlesung, Übung und Seminar. Das bietet auf der einen Seite den Professoren mehr Freiraum, wie sie die Stunde gestalten können, auf der anderen Seite bedeutet das für die Studenten, dass sie im Vergleich zu dem System zuhause sehr viel für eine Veranstaltung vorbereiten müssen (weil es nicht auf mehrere Tage verteilt ist). Die Vorbereitungen hier beinhalten sehr viel (Pflicht)lektüre zu lesen. Ein Nachtteil an den nicht stark abgegrenzten Lehreinheiten wird deutlich, wenn keine Übungensaufgaben in den Unterricht integriert werden: Es ist schwierig abzuschätzen, was in der Klausur gefordert wird, weil keine konkreten (potentielle Klausur)fragen gestellt werden müssen. Häufig werden hier im Masterstudium Seminararbeiten statt Klausuren geschrieben oder Präsentationen gehalten. Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Mein Stundenplan für das gesamte Semester sieht wie folgt aus (man beachte die dreistündigen Veranstaltungen).
Zusammengefasst ist die Grundstimmung an der BI etwas anders – das kann am Studiengang liegen, am Land oder auch an dem Renommee. Fest steht, dass die Menschen hier viel mehr auf Namen, Marken, Rankings und Ruf achten. Das ist sehr ungewohnt. Im Endeffekt diskriminieren und bevorzugen Rankings immer bestimmte Faktoren, oftmals ist es ein sich selbst erhaltenes System. Nur weil eine Universität besser als eine andere gerankt ist , folgt daraus nicht, dass sie überall besser ist. Aus meiner Sicht ist beispielsweise die Lehre weder schlechter noch wirklich besser (ich kann natürlich nicht für alle Kurse und Bereiche sprechen). Was auffällt, ist natürlich, dass die Ausstattung wesentlich besser ist, die Professoren in hohen Journals publizieren (sie bekommen viele Forschungsgelder) und allgemein fließt offensichtlich mehr Geld (alleine die Studiengebühren betragen zwischen 8.000-10.000€ pro Person pro Semester; es gibt über 20.000 Studierende an der BI). Was alles hinter der Fassade passiert, bekomme ich als Studentin nicht mit.
Ich freue mich, das erleben zu dürfen und außerdem die Unterschiede feststellen und aufzeigen zu können. Im Endeffekt lerne ich sehr viel hier (nicht nur Fachliches) und profitiere sehr stark sowohl von der guten Ausstattung und als auch von dem Ruf. Ich war bereits auf einer Konferenz zum Thema Künstliche Intelligenz und auf einer 75. Jubiläumsveranstaltung der BI zum Thema Digitalisierung. Bei zwei weiteren Events habe ich mich bereits angemeldet. Zuhause sind wir beim Thema Digitalisierung leider noch nicht soweit. Der Nobelpreisträger Christopher Pissarides hat zu dem Thema einen kurzen Vortrag gehalten (ich war dabei) und wir, als Europa, müssen in Zukunft vieles tun um nicht abgehängt zu werden. Und das ist der wesentliche Unterschied zu zuhause: hier an der Uni werden tendenziell mehr aktuelle gesellschaftlich und wirtschaftlich relevante Themen behandelt, an ihnen geforscht und in die Lehre eingebaut.
Mareike